Sturmnacht, Dienstag
Es ist 02:00 Uhr, ich sitze am Navigationspult und überwache am Radar die vorbeiziehenden Regenzellen, halte nach allfälligen Schiffen Ausschau (zur Zeit hat es weit und breit nirgends ein Schiff) und beobachte, wie der Wind von einem Rekord zum nächsten hochschiesst. Zuerst 40 Knoten, dann 50 und dann der bisherige Spitzenwert mit 53 Knoten.
Matthias ist draussen, warm eingepackt in seinem Ölzeug, allzeit bereit das Steuer zu übernehmen, wenn es dem Autopiloten zu viel werden sollte. Wir segeln nur noch unter Genua und auch die ist stark gerefft. Dennoch erreichen wir locker Geschwindigkeiten von 10 Knoten und mehr, wenn es die Wellen runter geht. Die grösste Welle bisher hat uns kurzzeitig auf über 15 Knoten beschleunigt, normalerweise ist das eher das Tempo der grossen Frachter.
An Schlaf ist heute Nacht nicht zu denken, die Joy schaukelt wie noch selten und ich bin unglaublich froh, bin ich nicht mehr seekrank 🙂
Immer wieder mal trifft uns eine besonders grosse Welle und dann fliegt hier unter Deck schon so das eine oder andere herum. Wenn dann jeweils wieder ein ruhiger Moment kommt, mache ich mich ans Aufsammeln und Aufräumen.
Laut Vorhersage soll es ab Morgen früh wieder ruhiger werden, schauen wir mal, was da noch so alles kommt.
Bisher hat es der Nordatlantik ja eigentlich sehr gut mit uns gemeint. Die ersten 10 Tage waren viel angenehmer als erwartet und im Vergleich mit dem Start unserer letzten Überquerung, war es dieses mal schon fast gemütlich. Ich war gerade mal während einem Tag seekrank und auch da nicht so richtig schlimm.
Eigentlich gibt es vom ersten Teil unserer Reise auch noch gar nicht so viel zu erzählen. Wettertechnisch ist der Nordatlantik definitiv abwechslungsreicher , als wir das mit dem stetigen Passatwind im Süden erlebten. Das Wetter hier wird vorwiegend von vorbeiziehenden Tiefs bestimmt. Windmässig hatten wir schon alles von Flaute bis ziemlich stürmisch, so wie heute Nacht. Ausserdem werden wir hier auch immer wieder mal mit einer neuen Windrichtung überrascht, so dass es nie ganz langweilig wird. Temperaturtechnisch wird es nun kühler, langsam aber sicher kommen unsere wärmeren Kleider wieder zum Einsatz. Oft ist es bewölkt, von Regen sind wir bisher aber meistens verschont worden.
Auch das Wasser wird langsam kühler, was wir bei unseren fast täglichen Duschen an Deck immer wieder von neuem mit Schrecken feststellen. Daran werden wir uns nun aber wohl wieder gewöhnen müssen.
Wir konnten bisher fast täglich unser frisches Brot backen und richtige Menu,s kochen. Die Zeit der Büchsenravioli wird aber bestimmt auch noch kommen 🙂
Ansonsten haben wir mit einer netten Möwe Bekanntschaft gemacht, welche während der Flaute, wo wir nur so vor uns hindümpelten, friedlich neben uns im Wasser sass und nicht von unserer Seite wich. Auch den ganzen nächsten Tag flog sie dann noch mit uns mit und begleitete uns so auf unserem Weg. Immer wieder mal haben wir Delfine gesehen, die scheinen hier im Norden aber irgendwie nicht so verspielt zu sein wie ihre südlicheren Artgenossen. Meist schwimmen sie nur kurz mit uns mit und sind im nächsten Moment auch schon wieder weg.
Wir vertreiben uns die Zeit mit lesen, jassen, nichts tun und auch immer wieder ein bisschen Schlaf nachholen. Einer von uns liegt eigentlich meistens unter Deck in unserem „Chischtli“ (sage ich) oder „Näschtli“ (sagt Matthias). Unser Bett, in dem wir jeweils unterwegs schlafen, hat auf der Seite ein Brett, so dass wir auch wenn es schaukelt nicht herausfallen können. Auch wenn man fürs „Einsteigen“ immer erst über dieses Brett klettern muss, ist das doch trotzdem eine sehr praktische und unverzichtbare Erfindung, ohne die unterwegs überhaupt nicht an Schlafen zu denken wäre.
In diesem Moment hat uns wieder eine Riesenwelle erwischt und wir sind mit unglaublichen 18,8 Knoten Tempo runtergesaust! Ein bisschen wie Achterbahnfahren ist das.
Wenn wir in dem Tempo weiterrasen würden, wären wir in weniger als 10 Tagen in Europa. Angenehm würde das aber nicht, darum hoffen wir sehr, dass es noch ein bisschen länger dauern wird 🙂 Es sind jetzt noch genau 1800 Meilen bis zum Ziel, bald ist also die Hälfte geschafft.
03:00 Uhr : Barometer scheint auf dem Tiefpunkt angekommen zu sein. Seit zwei Stunden beträgt der Luftdruck 1003 und fällt nicht mehr weiter….
04:00 Uhr: Wind ist „nur“ noch zwischen 30 und 40 Knoten, der Luftdruck beginnt zu steigen, langsam wird es besser 🙂
Mittwoch
Wir waren beide todmüde nach dieser Nacht, nun haben wir bereits etwas nachgeschlafen. Die stürmischen Winde haben wir ohne Schäden am Boot überstanden und uns geht es gut. Das Wetter scheint sich nun aber definitiv geändert zu haben, wir sind im Norden angekommen. Es ist kalt und bleibt windig und die Büchsenravioli werden nun wohl doch noch zum Einsatz kommen 🙂
Da laut Vorhersage bereits ein nächstes grosses Tief im Anmarsch ist, haben wir nun beschlossen unsere Route zu ändern und, entgegen der vorherigen Planung, wieder eher südwärts Richtung der Azoren zu fahren. Voraussichtlich werden wir am Sonntag auf Höhe der Azoren sein und dann entscheiden wir vor Ort, ob wir allenfalls noch einen kurzen Zwischenstopp auf diesen Inseln einlegen. Wir werden euch auf dem Laufenden halten.